Das Buch – im Reimer Verlag

Die Autorin

ist frei schaffende Architektin und Hochschullehrerin in Berlin. Seit 2007 unterrichtet sie dort künstlerische Transformations prozesse im Rahmen einer Gastprofessur mit der Gruppe Stille Post an der Universität der Künste. Nach 5 Jahren im In- und Ausland zwischen Montpellier, Ipswich, Barcelona, Paris, Tunis studierte sie Architektur an der Hochschule der Künste in Berlin, der Bauschule in Holzminden und der Kunsthochschule Berlin Weissensee. Sie arbeitet mit ihrem Partner Christian Pieper in der Ateliergemeinschaft jp3_Architektur & Gestaltung, in der das Wohnen und das Entwerfen untersucht und experimentiert werden. Von 2000 bis 2007 hat sie am Lehrstuhl von Inken Baller an der BTU Cottbus Entwerfen und Baukonstruktion in interdisziplinären Teamkonstellationen unterrichtet.

The author

is a practising architect and a university professor in Berlin. Since 2007 she has been a visiting professor in artistic transformation processes as part of an interdisciplinary research project at the University of the Arts. After five years spent both in Germany and France, Britain, Spain and Tunisia, she studied architecture at the University of the Arts in Berlin, the Bauschule in Holzminden und the Academy of Art Berlin Weissensee. Since 1993 she has been working together with her partner Christian Pieper in the architectural practice jp3_Architektur & Gestaltung, which both examines and experiments with the processes of living and designing. Between 2000 and 2007 she was a member of numerous interdisciplinary teams teaching design and construction as part of the professorship held by Inken Baller at the Brandenburgische Technische Universität Cottbus.

Inhalt

Die Schnittmuster-Strategie ist eine Entwurfslehre. Sie verbindet experimentelle, künstlerische und spielerische Verfahren mit methodisch tradierten Qualitäten in einer Didaktik und steht im Kontext des aktuellen Diskurses zu künstlerischer Forschung und Methoden des Entwerfens. Das kreative Modell für kollektive ästhetische Prozesse und ihre Vermittlung im architektonischen Entwerfen steht beispielhaft für andere künstlerische Disziplinen.

Kommentare zum Buch

Inken Baller
Das Lesen dieser Arbeit ist ein geistiges Abenteuer, hoch spannend, komplex aber auch kompliziert. Es bringt sehr viel Gewinn. Neun Jahre Nachdenken über das Entwerfen wird dem Leser hoch verdichtet und artifiziell dargeboten. Es gibt nicht allzu viele Arbeiten über das Entwerfen und nur sehr wenige, die Empirie mit Theorie verbinden.

Rainer W. Ernst
Das Entwerfen ist als klassische Kernkompetenz der Architektur zu verstehen, für die es erst im letzten Jahrzehnt methodische Erneuerungsversuche gab, die über das etablierte Verständnis hinausreichen. Hier liegt der Anknüpfungspunkt für die vorliegende Entwurfslehre, die insbesondere dem assoziativen Potential in kollektiven, kreativen Prozessen viel Gewicht einräumt, Optionen für den Formfindungsprozess erweitert und in Beziehung zu individuellen und diskursiven, partizipativen und kulturellen Praktiken steht.

Gundel Mattenklott
Die Besonderheit der Entwurfslehre liegt darin, dass nicht nur der Gegenstand und die Inhalte künstlerische sind, sondern auch die Struktur und Handlungsformen bis hinein in methodische Entscheidungen ästhetisch geprägt sind. Das Programm kann auch als eine übergeordnete Spielregel bezeichnet werden, aus der sich eine Vielzahl untergeordneter Regeln entfalten. Es setzt einen „automatischen Produktionsprozess“ in Gang. Anders als beim programmierten Lernen, das die Lernenden an der Struktur des Computers ausrichtet, geht es in der „Schnittmusterstrategie“ nicht um ein reibungsloses Abschnurren von Lern- und Handlungsfolgen, sondern im Gegenteil um eine „De-Automatisierung“ der Wahrnehmung, des Denkens und Machens. An diesem scheinbaren Widerspruch wird der künstlerische Charakter der Lehr-Konzeption besonders deutlich.


Die Entwurfslehre wird in zwei Teilen vorgestellt:
Der erste Teil erläutert die Bausteine der Strategie und veranschaulicht zwei ausgewählte Lehrprojekte in einer Prozessdarstellung. Aus drei interdisziplinären Perspektiven werden im zweiten Teil philosophische, psychologische und spieltheoretische Aspekte der Entwurfsstrategie untersucht. Zehn Punkte fassen die Lehre zusammen.

TEIL 1 | STRATEGIE

zum Entwerfen klärt im ersten Kapitel die drei Schlüsselbegriffe. Das subjektiv gewählte Kontextgefüge integriert Bestandteile des tradierten Genius loci und Genius temporis und ergänzt sie um fremde Elemente zur Externalisierung des Entwurfsumfelds durch interdisziplinäres, relevantes Wissen und zur ‚Deautomatisierung‘ der Entwerfenden. Die mimetische Transformationsarbeit umschreibt das Verfahren aus analytischen und intuitiven, individuellen und kollektiven Abläufen. 

Ausgewählte propädeutische Lehrkonzepte des Bauhauses bilden die Grundlage zum Vergleich mit drei aktuellen Ansätzen heuristischen, transformierenden Entwerfens der ETH Zürich, der UdK Berlin und der UCLA Los Angeles. Das Programm als Spielregel organisiert den Entwurfsprozess als ‚Entwurf vor dem Entwurf’ – Zeiträume, Werkzeuge und die Wissensaufladung. Vielmehr Spielregel als Funktions- oder Raumprogramm, dient das Programm als didaktisches Instrument dem Kennen lernen architektonischer Entwurfswerkzeuge und Methoden oder als kreativer Katalysator für eine Entwurfsgruppe der Bewältigung architektonischer Probleme. Das zweite und dritte Kapitel stellen eine Prozessintroversion zweier in der Lehre durchgeführter Projekte dar. Die didaktische Intention der Lehrprojekte wird jeweils der Interpretation des Entwurfsverlaufes gegenübergestellt.


TEIL II | REFLEXION

bildet den interdisziplinären Diskurs zu Fragestellungen, die aus der im Teil I vorgestellten Entwurfsdidaktik hervorgehen. Das erste Kapitel untersucht die Idee der Beziehung als Denkvorgang zur Bedeutungsentstehung. Transformationsprozesse, wie sie S. K. Langer, T. W. Adorno und H.-G. Gadamer verstehen, werden als Mittel der Verwandlung und Aufbewahrung von Tradition im Entwerfen erkenntnistheoretisch beleuchtet. Die Reflexionen zum künstlerischen Sinngehalt verorten den Entwurfsvorgang als kreativen Prozess der Bedeutungssuche. Die Auseinandersetzung geschieht im Diskurs mit ästhetischen Positionen von I. Kant, G. T. Fechner, S K. Langer, T. W. Adorno und R. Arnheim. U. Ecos Ausführungen zum „Kunstwerk in Bewegung“ werden auf die pädagogische Idee des durch die schrittweise Transformation beständig in Bewegung gehaltenen Entwurfs übertragen. 

Analytische und intuitive Denkvorgänge stehen im Mittelpunkt des zweiten Kapitels, da die Schnittmuster-Strategie analysierende und schöpferische Tätigkeiten im intendierten Wechsel befördert und durch das Programm steuernd in den Entwurfsablauf integriert. Das Begreifen als Erkenntnisvorgang – durch das Wechselspiel der Intuition und des Intellekts, wie es R. Arnheim in der Erkenntnispsychologie reflektiert –, wird in seiner psychologischen Qualität in den Zusammenhang mit der Entwurfsarbeit gestellt. Das künstlerische Zeichentraining B. Edwards – zeichnerische Methoden zwischen intuitiv oder analytisch gewichteten Übungen als Mittel der Lernoptimierung – bildet den pädagogischen Bezugsrahmen zur Entwurfsdidaktik. Parallelen der Traumtätigkeit mit der Entwurfsarbeit werden untersucht, um Ähnlichkeiten zwischen Abläufen des Unbewussten und Entwurfsverfahren, wie sie im Programm aufeinander folgen, aufzuzeigen. 

Das dritte Kapitel untersucht, wie sich das Entwerfen als Spiel nach programmatischen Entwurfsregeln in der Gruppe auf einen Entwurfsgehalt auswirkt. Spieltheoretische, pädagogische und ästhetische Reflexionen zum Spiel von J. Huizinga, H. Scheuerl, R. Caillois, F. Schiller, H.-G. Gadamer, S. Freud und A. Breton dienen dazu, das Spielerische der Vorgaben in der Programmausgestaltung als Quelle der Erkenntnis zu belegen.

Ein zeitgenössisches Modell zum Entwerfen als interdisziplinäre, kreative Schaffensdisziplin, wie es heute in Deutschland bereits an Architekturschulen vermittelt wird, liegt – im Text reflektiert – bisher nicht vor. Diese Lücke möchte die vorliegende Publikation schließen. Sie richtet sich an Lehrende des Entwurfsfaches und an Architekten, Designer und Künstler mit Reflexionsbedürfnis, an Pädagogen künstlerischer Fächer und an Studierende in den oberen Semestern.

Abstract

The Schnittmuster-strategy is a design theory. It connects experimental, artistic and playful procedures with methodical didactic qualities and positions itself in the context of the current discourse on artistic research and design methods. The creative model for collective aesthetic processes and their teaching in architectural design constitutes a model also for other artistic disciplines.
The design theory is presented in two parts: the first part places the three components of the strategy in their historic and contemporary context and illustrates two selected design projects in a process representation. In the second part, philosophical, psychological and game-theoretical aspects of the design strategy are examined from three interdisciplinary perspectives. Finally, ten points summarize the teaching model.


PART 1 | DESIGN STRATEGY:

the three key terms are clarified in the first chapter. The subjectively selected context structure integrates components of the Genius loci and Genius temporis and supplements it with surprising, foreign elements to externalize the draft environment by interdisciplinary, relevant knowledge, and to ‚de-automize’ the design-process. The mimetic work of transformation describes the procedure of analytic and intuitive, individual and collective operational sequences. Selected artistic methods of the Bauhaus form the basis of the comparison with three current concepts of the ETH Zurich, the UdK Berlin and the UCLA Los Angeles. The program as a rule organizes the draft process as "draft before the draft“ – periods, tools and the newly aquired knowledge. Rather rule of an estetic game than functional program, the program serves as didactic instrument to get aquainted with architectural draft tools and methods or as creative catalytic converter and aid for a group of drafts to solve architectural problems. An introversion into the process of two projects realized architectural teachings is presented in the second and third chapter. The didactical intention of the projects is compared to the interpretation of the draft process in each case.


PART 2 | REFEXION

forms the interdisciplinary discourse to questions, which stem from the design didactics presented in part I. The first chapter examines the idea of relationship as thought process for the creation of meaning. Transformation processes, as understood by S. K. Langer, T. W. Adorno and H. G. Gadamer, are illuminated epistemological as means of the transformation and conservation of tradition in designing. Reflections of the artistic meaning locate the draft procedure as creative process of the search for meaning. The argument occurs in the discourse with aesthetic positions of I. Kant, G. T. Fechner, S K. Langer, T. W. Adorno and R. Arnheim. And U. Eco’s remarks to the "work of art in motion" are transferred steadily to the educational idea of the draft held by the gradual transformation in motion. Analytic and intuitive thought procedures are the center ideas presented in the second chapter, since the Schnittmuster-strategy integrates analytical and creative activities in the intended change of methods which are integrated by the program in the proceeding, evolving work. Understanding as procedure of realization – reflected by the interrelation of the intuition and the intellect (like R. Arnheim’s reflection on the psychology of realization) – is connected with the draft work in its psychological quality. Artistic sketching training by B. Edwards – graphical methods between intuitive or analytically weighted exercises as means of optimization of learning – forms the educational reference to the didactics of design. Parallel characteristics between dream activity and draft work are examined, to explore similarities between experiences of the unconsciousness and the design procedure. The third chapter examines the influence of group design – as a game according to design principles as defined by the program – on a draft content. Game-theoretical, educational and aesthetic reflections on the game by J. Huizinga, H. Scheuerl, R. Caillois, F. Schiller, H. G. Gadamer, S. Freud and A. Breton serve to support the notion of the game as source of realization.

A contemporary model for designing as interdisciplinary, creative work discipline, like it is already taught at architecture schools in Germany nowadays, did not exist until now. This publication would like to close the gap. It addresses teachers of design practice, architects, designers and artists with the desire of reflexion, and paedagogues of other artistic subjects and aims to be used by graduate students.